Die Rekonstruktion des MERZbaus
von Kurt Schwitters


Harald Szeemann

Die Geschichte der Rekonstruktion des MerzBaus (1980-1983)
Der MERZbau, heutigen Kunstinteressierten bis 1983 nur bekannt von den drei Photographien in Hannover, einigen Detailaufnahmen von Ernst Schwitters und anderen, hätte eigentlich schon lange jemanden zur Rekonstruktion anregen können; denn es gibt ja in der Kunstgeschichte der Neuzeit kaum ein kontroverseres Gebilde, das zum Mythos geworden ist: ein Schicksal, durch seine Zerstörung bei einem Luftangriff auf Hannover im Oktober 1943, das den meisten normenbrechenden Schöpfungen einzelner blüht, und durch die sich widersprechenden Zeugnisse der berühmten Augenzeugen des Baus (Kate T. Steinitz, Hans Arp, Hans Richter, Friedrich Vordemberge-Gildewart). Es brauchte eine primäre Lust dazu, dieses skulpturale Erlebnis einmal selbst haben zu wollen, und natürlich den übergeordneten Gedanken: dem Gesamtkunstwerk, das es nicht gibt, über den ,Hang zum Gesamtkunstwerk', der in einer Ausstellung auszumachen und zu visualisieren war, nachzuspüren. Und von dieser Warte aus war der MERZbau ein unverzichtbares Hauptwerk.

Soll man einen Mythos rekonstruieren? Kann aus einem permanenten Schaffensprozeß ein Zustand arretiert werden? Diese Fragen, seit langer Zeit hin-und hergewälzt, wurden an dem Tage hinfällig, an dem nach egozentrischer Ausstellungsorganisatorenmanier der Wunsch, auch mal im MERZbau gewesen und genächtigt zuhaben, überhand nahm. Kurz: der Ludwig II. in mir, der die Dinge, die man gerne um sich hätte, auch machen will, brach durch und schickte die Lust auf den langen Marsch.

In erster Linie galt es den Sohn des Künstlers, Ernst Schwitters, zum Nachbau zu überzeugen, was ich Mitte 1980 versuchte. Er war skeptisch, und wir einigten uns schließlich auf folgendes Vorgehen: Wenn Werner Schmalenbach, der Biograph von Kurt Schwitters, damit einverstanden ist, dann würde er, Ernst Schwitters, dem Unternehmen zustimmen. Bei allen Hinweisen auf die Schwierigkeiten und unter der Bedingung, daß das Resultat nicht als eine regelrechte Rekonstruktion deklariert, "sondern als der Versuch einer solchen . . .", schrieb Schmalenbach: "Szeemann hat mich überzeugt, daß eine solche dreidimensionale Rekonstruktion viel wirksamer ist als Fotos, so daß ich schließlich doch keine Bedenken mehr hatte. Es wird allerdings ein harter Brocken sein, das Ding herzustellen."

In weiser Voraussicht, aber ohne finanzielle Absicherung, hatte ich bereits im November 1981 in Locarno eine Fabrikhalle angemietet, weil unterdessen Ernst Schwitters meinem Vorschlag. Peter Bissegger, Bühnenbildner und seit der Ausstellung ,Monte Verità mein bevorzugter Modellbauer, mit der Aufgabe zu betrauen, akzeptiert hatte. Peter Bissegger war der einzige, dem ich die Rekonstruktion zutraute. Seine Liebe zur darstellenden Geometrie und das faszinierende Problem der Umsetzung dreier Photographien in drei Dimensionen ließ ihn ab Frühjahr 1981 mit voller Unterstützung von Ernst Schwitters und des Museums Hannover ans Werk gehen. Das Resultat ist nicht nur ein visuelles, sondern auch ein räumliches Erleben dieser monomanischen Mischung aus Kathedrale, Höhle, Burg und Elfenbeinturm ihres Schöpfers, eines Künstlers, dessen Umgang mit den Dingen und dessen lebenslanges Spiel mit ernsten Problemen als Kunst erst heute richtig erfaßt wird und zu einem größeren Publikum als Schönheit findet. Die drei Jahre Anstrengung haben sich gelohnt.

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